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Auf Nosferatour

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zu den Drehorten von “Nosferatu” (1922) in Wismar und Lübeck

Das Schöne an den alten Stummfilmen ist, dass sie nicht mit billiger Computertechnik gedreht wurden – und auch nicht mit teurer. Für Außenaufnahmen konnten die Regisseure in der Kinderstube des Films nur das 3D des wahren Lebens wählen: echte Landschaften, Städte und Häuser. Gerade der Vampir-Kultfilm “Nosferatu” enthält ungewöhnlich viele Außenaufnahmen für die damalige Zeit – das Reale wurde als künstlerisches Stilmittel eingesetzt. Für andere Klassiker wie “Das Cabinet des Dr. Caligari” (1920) oder “Das Wachsfigurenkabinett” (1924) wurden Kunstwelten im Studio aufgebaut. Entsprechend reduzierte man die Handlung auf wenige Schauplätze, so dass die Kosten für die Filmaufbauten nicht ausuferten.

Gedenktafel für den Nosferatu-Film in Wismar

Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau drehte die meisten Außenaufnahmen zu “Nosferatu” in Deutschland. Das macht aus meiner Sicht einen Großteil der bizarren und gleichzeitig faszinierenden Kraft dieses Filmes aus. Denn so ist das Böse nicht fern, sondern es kommt zu uns. Selbst wenn die Stadt den fiktiven Namen Wisborg trägt – es waren typische (nord-) deutsche Häuser, Höfe und Straßen zu sehen, denn gedreht wurden viele Szenen dafür in Wismar und Lübeck. Sicher ging den Menschen früher der Film deshalb auch so nahe, denn die Bilder ließen keine Zweifel aufkommen: Nosferatu ist in Deutschland.

In Deutschland fand auch unser Sommerurlaub 2012 statt – in MeckPomm bei Güstrow; circa 50km von der Ostseeküste entfernt. Nun ist diese Region wirklich wunderschön, schafft es aber im Ranking der skurrilen Reiseziele noch nicht mal unter die Top20. Doch wir wollten uns nicht grundlos dem Strand und der Sonne aussetzen und gingen auf Nosferatour. Ganz in der Tradition der Arwaburg in der Slowakei und des Untoten Max Schreck be-/suchten wir die Nosferatu-Drehorte.

WISMAR

Drehorte: Marktplatz/Marienkirche, Heiligen-Geist-Spital, Hafen, Wassertor

Establishing Shot im Nosferatu-Film: der Marktplatz von Wisborg = Wismar

Blick auf den Marktplatz heute – wie damals vom Turm der Marienkirche aufgenommen

Es begann wie im Film: auf dem Marktplatz von Wismar. Dieser wurde auch bei “Nosferatu” als “Establishing Shot” genutzt – damit sollte den Zuschauern der Ort der Handlung vorgestellt und sozusagen etabliert werden. Im Film zeigt er einen leeren Marktplatz, auf dem die Wismarer Wasserkunst gut zur Geltung kommt. Die Wasserkunst ist ein sehr hübsches Bauwerk zur Trinkwasserversorgung aus dem Jahre 1563. Ich habe manchmal den Eindruck, früher hat man alles irgendwie verziert und verschönert und hätte es damals schon öffentliche Toilettenhäuschen gegeben, so wären auch diese noch pompösisiert worden. Immerhin konnte man als Gemeinde oder Stadtrat gerade an profanen Dingen zeigen, wie prall das städtische Säckl gefüllt war. Man sieht ja auch wie wenig heutzutage darin ist – an den gegenwärtig von der Stadt finanzierten Bauten. Hauptsache praktisch und billig. Aber ich schweife ab.

Jedenfalls fand auf dem Marktplatz bestimmungsgemäß das statt, was man von ihm erwartet: Wochenmarkt. Mit allem, was man dort erwartet: Spreewälder Gurkenspezialitäten, frischem Fisch, Bio-Gemüse und vietnamesischer Haut-Couture – das Kleidungsstück ab 4 €.

Heute ist von St. Marien nur noch der Turm übrig

Um selbst einen Establishing Shot vom Marktplatz hinzubekommen, müsst ihr in der St. Marienkirche eine Turmbesteigung buchen (Öffnungszeiten). St. Marien ist eines der ältesten Bauwerke der Stadt und der Turm nicht zu übersehen. Wenn ihr vom Marktplatz auf sie zugeht kommt ihr durch die “Sargmacherstraße” – mal drauf achten ;) .

Zu Murnaus Zeiten stand die Kirche noch komplett – inklusive ihres riesigen Kirchenschiffes, das gegenüber vom Turm am Ende des Langhauses noch ein kleines Türmchen hatte. Jeniges sieht man auch im “Establishing Shot” oben auf dem Bild. Leider wurde St. Marien im 2. Weltkrieg durch Bombenangriffe extrem zerstört. 1960 riss das DDR-Regime gegen den Protest vieler Bürger das zerstörte Kirchenschiff samt Chor und Türmchen komplett weg. Ich habe mir dieses Video von der Sprengung angesehen und es lief mir kalt den Rücken herunter. Den Turm hätten sie wahrscheinlich auch gleich noch mit weggesprengt, wäre er nicht als Seezeichen zu wichtig gewesen.

St. Marien in Wismar 1896 – wie Murnau und das Nosferatu-Filmteam sie erlebten (Bild: Wikipedia)

Die Turmführung lohnt sich übrigens. Ein netter Guide führte uns auf nordisch-trocken-witzige Art in die Höhe und ganz oben, als ich endlich durch ein Fensterchen meinen Establishing Shot machen konnte, fragte er sogar, welcher Stummfilmklassiker hier gedreht wurde. Keiner der anderen Touris wusste davon – während wir nur deswegen hier waren. ;)

Von St. Marien ist es nur ein Katzensprung bis zur Heiligen-Geist-Kirche von Wismar. Im Hof der ursprünglich und lange Zeit auch als Armen- und Krankenhaus genutzten Kirche – deswegen auch Heiligen-Geist-Spital genannt – wurden gleich zwei Nosferatu-Szenen gedreht: die Abreise von Hutter nach Transsylvanien und die Ankunft des Grafen in Wisborg. Dabei läuft nämlich der Graf fröhlich mit seinem Sarg unterm Arm auch noch mal durch den Kirchhof.

Hutters Abreise im Hof der Heiligen-Geist-Kirche

Gut wiederzuerkennen: der markante Brunnen

 

Ein Kirchhof zum Särge durchtragen :)

Blick in den Kirchhof

Der Eintritt in die Heiligen-Geist-Kirche ist kostenlos – man kann aber spenden. Oder etwas Geld in Kaffee & Kuchen des provisorisch-liebevoll hergerichteten Freizeit-Cafés in der Kirche umsetzen. Genau daneben geht der Trakt des “Siechenhauses” ab, aber das darf einen nicht weiter stören. In diesem befanden sich die Kammern der Kranken – offen zur Kirche hin, damit sie den Gottesdienst miterleben konnten. Das Krankenhaus wurde in der 2. Hälfte des 16. Jhds aufgegeben – die Kammern werden aber nach wie vor als kleine Zimmerwohnungen genutzt und so ist der Trakt nicht begehbar.

Ich sprach einen Herrn vom Kirchenpersonal an, ob wir wohl mal in den Hof könnten. Er sagte: “Welchen Film meinen Sie denn? Denn hier wurden mehrere Filme gedreht. Nicht nur ‘Nosferatu’ sondern auch ‘Der kleine Muck’ und noch einige andere.” Er war voll sympathisch, lebte förmlich auf und erzählte von DEFA-(DDR-)Filmen und TV-Tatorten. Sogar das Kellergewölbe unter dem Spital zeigte er uns, in dem alte Holzkreuze und Türen lagen. Hier seien auch Szenen für “Nosferatu” gedreht worden, aber ich kann sie im Film nicht finden. Vielleicht verwechselt oder herausgeschnitten?

Immer offen: Tor zum Heilig-Geist-Kirchhof unter dem Baum über die Straße “Neustadt”

Nächste Station war der Hafen von Wismar. Im Film schiebt sich der Bug der zum (Un)Toten-Schiff mutierten “Empedusa” bedrohlich und unheilverkündend in die Hafenbucht. Dort hielten wir uns nicht lange auf – so schön, wie zu Murnaus Drehzeiten ist der Hafen heute nicht mehr. Zu viel Rummel und Tourikram. Ich zapfte mir dort ein Backfischbrötchen, aber auch das schmeckte nur (touri-)mäßig.

Direkt am Hafen ist das Wassertor. Durch dieses betritt Graf Orlok erstmalig die Stadt – mit seinem Schlafsarg unterm Arm. Das Tor hat also auch eine symbolische Bedeutung: Wisborg lässt das Grauen, den Tod, die Pest durch das Tor herein.

Die Security am Wassertor schläft und der Vampir schleicht in die Stadt…

Keiner läuft heute noch mit Särgen voll Erde hier durch. Schade!

Unter dem Wassertor ist in der Mitte des Durchganges eine Gedenktafel in den Fussboden eingelassen. Die meisten Touristen laufen achtlos darüber, sehen sie noch nicht einmal. Ich konnte niemanden beobachten, der stehenbleibt und sie betrachtet. Ist das nicht traurig? Die Tafel erinnert an dieses Meisterwerk des expressionistischen Stummfilms und den Nosferatu-Drehort  am Wassertor in Wismar. Leider waren wir nicht im Dunkeln dort – beleuchtet kommt sie sicher besser zur Geltung.

Fazit: Wismar ist stolz auf seine “Nosferatu”-Geschichte. Der Film findet ab und zu mal Erwähnung und ist nicht vergessen. Er wird als kulturelles Erbe weitergegeben – oder zumindest wird das versucht. In Lübeck wird “Nosferatu” leider nirgends erwähnt. Obwohl dort bei den Salzspeichern gleich zwei Mal gedreht wurde – nämlich auch Teile von “Nosferatu – Phantom der Nacht” mit Klaus Kinski. Vielleicht hat Lübeck einfach zu viele und bekanntere Berühmtheiten wie Thomas Mann, das Buddenbrook-Haus, Günter Grass, das Holstentor und natürlich leckeres Lübecker Marzipan? :-?

LÜBECK

Drehorte: Salzspeicher, Depenau, Aegidienkirchhof

Lübeck ist eine der schönsten Städte Deutschlands und es gibt allein in der Innen-/Altstadt sehr viel zu entdecken. Sie liegt wie auf einer “Insel” eingerahmt von Wasser – hauptsächlich von der sanft dahinfließenden Trave. Backsteingotik wohin das Auge reicht und gleich zu Beginn begrüßt einen das im Boden zu versinken drohende, sehr imposante Holstentor. Oder man betritt die Stadt durch das Burgtor – nicht minder schön. Das Lübecker Rathaus besteht sogar aus teuren schwarzen Backsteinen, es gibt lustige Straßennamen wie das “Fegefeuer” und neben der riesigen Marienkirche in Lübeck sitzt ein dicklicher Teufel aus Bronze auf einer Bank. Die Lübecker Marienkirche solltet ihr unbedingt besichtigen – auch wenn sie kein Drehort des Nosferatu-Films ist. In ihr befindet sich aber eine restaurierte Ansicht des “Lübecker Totentanz” und sie quillt fast über vor Schädeln und Skeletten an Grabtafeln, in den Buntglas-Kirchenfenstern und sogar an einem  Kreuzgewölbeschlussstein in der Decke. Die sehr weit weg ist, denn die Marienkirche ist fast 40m hoch.

Hinter dem Holstentor stehen rechter Hand die berühmten Salzspeicher, die Graf Orlok als Domizil in seiner neuen Heimat Wisborg erwirbt. Knock, der Häusermakler (und spätere “Renfield”) sagt zu Hutter: “Er wünscht ein recht schönes, ödes Haus…“ . Mit den Salzspeichern hatten wir leider etwas Pech: drei der fünf Speicherhäuser wurden gerade saniert und waren eingekleidet in Gerüste, Gitternetze und fette Bauschuttrohre.

“Er wünscht ein recht schönes, ödes Haus…“ – die Vampir-Immobilie in Nosferatu

Salzspeicher an der Trave in Lübeck heute – gegen Baugerüste hilft ein bisschen Sepia

 

Aber dafür stand gegenüber der Salzspeicher das “Fahrrad des Todes”, welches man nun auch nicht jeden Tag zu Gesicht bekommt. ;)

Die Speicherhäuser sind im Nosferatu-Film bei Szenen in Hutters Haus – sowohl am Anfang als auch am Ende, wenn sich Ellen opfert – immer durch das Schlafzimmerfenster ihrer Wohnung zu sehen. Wenn man mal darauf achtet, wirkt das bedrohlich. Denn Graf Orloks Speicherhaus liegt in “Nosferatu” dem Haus von Hutter direkt gegenüber. Bei den Drehorten ist das nicht der Fall – aber weit entfernt voneinander sind sie auch nicht. Zu Fuß sind es gerade mal 800m, dann ist man am Aegidienkirchhof. Der so genannte kleine asphaltierte Weg führt von der Schildstraße aus in den grünen Kirchhof hinter der St. Aegidien Kirche. Dort steht eine alte Häuserreihe, in ihrem Dach noch mit Fachwerk versehen: das Haus von Hutter & Ellen. Es ist kaum zu glauben, aber an diesem Gebäude hat sich in den vergangenen 90 Jahren so gut wie nichts geändert. Es fehlt lediglich ein Schuppen im Vorgarten.

Sogar noch mit altem Straßenschild…

Heimkehr zu Ellen in den Aegidienkirchhof

Auch heute ist der Aegidienkirchhof noch ein wunderschönes Haus.

Der Graf vor Hutter’s Haus: “Passt da mein Sarg durch die Eingangstür??”

 

Interessanter Fakt: Murnau wollte den Establishing Shot gern von der St. Aegidien Kirche gegenüber drehen, aber das scheiterte am Lübecker Widerstand – weshalb man dann auf die Wismarer Marienkirche auswich. Wobei ich nicht weiß, ob nur die Kirche diesen gotteslästerlichen Film nicht dort gedreht haben wollte oder ob auch die Lübecker Bürger dagegen aufbegehrten.

Särge mit Opfern der Vampir-Pest: “Die Angst kauerte in allen Winkeln der Stadt. Wer war noch gesund? Wer schon krank?” (gedreht in der Depenau in Lübeck)

 

Das romantischste Bild, das man noch von der Depenau machen kann.

Unsere letzte Station war die Depenau. Durch diese Straße wurden im Film die Särge mit den “Pest”-Toten getragen. Zugegeben ein eigenartiger Name. Der niederdeutsche Begriff “Depenau”, wörtlich Tiefe Au, bezeichnet einen Bach mit tiefem Grund und bezieht sich auf einen Wasserlauf, der hier ursprünglich zur Trave hinabfloss. Denn die Depenau führt den Lübecker Klingenberg herauf – oder herab, je nachdem von wo man kommt. Die Straße ist heute nur noch schwer mit der im Nosferatu-Film zu vergleichen. Sogar so schwer, dass mir arge Zweifel kamen, ob dies wirklich die richtige Straße ist. Viele Häuser sind abgerissen, am Straßenrand stehen neumodische Autos (sowas aber auch!) und naja, Sargträger haben wir auch keine gesehen. Vielleicht besser so – aber dann hätte ich keine Zweifel mehr gehabt ;) .

Es ist jedenfalls ein ganz besonderes Erlebnis fast ein Jahrhundert später auf den Spuren dieses gruselig-expressionistischen Meisterwerkes zu wandeln. Denn wenn man ein Liebhaber von “Nosferatu” ist, dann sind die Drehorte auch Kultorte und kleine cineastische Pilgerstätten. Es fällt mir dabei häufig leicht, mich in Murnaus Zeit zu versetzen – sofern ich nicht komplett ernüchtert vom heutigen Zustand bin. Das war hier allerdings nur aufgrund der Baugerüste bei den Salzspeichern und bei der Depenau der Fall. Aber als Straße hat man es auch schwer, sich nicht dem Wandel der Zeit zu beugen. Als Gasse gelingt das vielleicht schon eher.

Für mich entfalten diese Filmschauplätze dann vor Ort immer eine ganz eigene Bedeutung – der Film rückt mir dadurch noch ein Stück näher. Leinwand zum Anfassen sozusagen. Wenn ihr den Film nach eurer eigenen Nosferatour dann noch einmal anschaut, wird es ein bisschen so sein als seid ihr 1921 dabei gewesen.

Ellen wartet… auf Hutter und auf Euren Besuch an der Ostsee ;)

GOTHIC GUIDE DREHORTE NOSFERATU DEUTSCHLAND – Eine Seite mit den wichtigsten Infos zum Mitnehmen auf Reisen: Gratis-Download Gothic Guide Drehorte Nosferatu Wismar & Lübeck

 

Zum Weiterschauen empfehle ich Tobikult’s Fotoimpressionen von Wismar, der sogar nachts auf den Spuren von Nosferatu und tagsüber entlang von gruftiesken Bauzäunen wandelte ;)

 


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